Die Rainergeschichte oder der mit dem DADA tanzt
1956 war ein großes Jahr. Rainer kam auf die Welt. Seine Mutter drückte, beglückt über ihren prächtigen Jungen, so sehr, dass ein kräftiges »DADA« zwischen ihren gespreizten Schenkeln aus dem Urloch des Fleisches quäkte.
Gemeint war wohl: »Ich bin jetzt da, DADA DADA«, und das alles noch vor dem obligatorischen Handschlag auf den Hintern.
»DADA« die große Revolutionsspucke der Künstler um 1918 war also auch für den kleinen Rainer der Stoff im Blut, der sein späteres Naturell und Wesen am meisten unterstreichen sollte. Immer ein wenig gegen alle Bürgerlichkeit bekam auch seine Mutter gegen ihre zudrückende Liebe den ersten Biss in die Brustwarze. Das war dann 1956 eine ganz natürliche Entwicklungsspitze Rainers, den DADAISMUS auf seine Weise in die neuere Kunstgeschichte einzubringen.
Vielleicht sollte die Kunstgeschichte hier ein wenig nachbessern, denn der DADAISMUS lebt auch von seinen vielen unbekannten Aktionen.
Mit der Sprechphase wurde es schlimmer. Wo andere Kinder »Mama« und »Papa« übten, sagte der kleine Rainer nur »DADA« »DADA«, sehr zur Verwunderung der Eltern, denn wer war nun eigentlich gemeint. Das alles hatte System, die Eltern bekamen immer öfter Nervenzusammenbrüche und Rainer merkte schnell, wie die Familienordnungen zusammenbrechen konnten. Am Rande des Wahnsinns beschloss man, Rainer Sprachübungen machen zu lassen, denn sein frühreifer DADAISMUS wurde als Stottern erklärt.
1962 dann die Einschulung, der kindliche Traum muss verschwinden, der Zwang zum Erwachsenwerden beginnt. Sicherlich wurden dort schmerzhafte Einschnitte gemacht, welche Schule möchte schon Jungdadaisten in ihren Räumen haben. Schulzeit also Ausbildung, die ganz bewusste Auseinandersetzung mit der Welt, der Umzug nach Berlin, Heirat, Künstlertreffen und andere Lebenserfahrungen lassen Ideen fester werden. Das künstlerische Kind »KÜNSTLER WAR ICH SCHON IMMER« wird erwachsener.
Mit den Jahren und besonders den Berlin-Erfahrungen löste sich der sprachliche DADAISMUS in mehrere künstlerische Spielarten auf. Rainer verzweigte seinen ganz eigenen DADAISMUS in malerische, teilweise naiv-bildhauerische und politische Aspekte. Natürlich nahm der Hauptaspekt einer Richtung immer die anderen mit, sodass man von einer Mehrfachkunst bei Rainer sprechen muss. Das Gemalte ist oft politisch bezogen, das Bildhauerische immer wieder ein Hinweis auf die Malerei zurück und das ganz bewusst Politische soll immer Kunst bleiben.
Annäherungen an Fluxus, Happening, Performance und konzeptartige Gestaltung nehmen zu, das Gesamtkunstwerk eben. Rainer sieht sich als Magier, Darsteller und somit als lebender Teil seiner Kunst selbst. Das alles bleibt auch hier immer dem DADAISMUS verwandt. Ein weiterer Schritt in seiner Entwicklung wurde für Rainer die rohe Malkunst, »L´art brut«, benannt nach Dubuffet.
Mit ganzer Körperkraft schmeißt, schmiert und pinselt Rainer Leinwände, Tischplatten, Sperrholz und ähnliche Unterlagen voll. Rainer, »Der Bär«, ist losgelassen.
Rainer, der Autodidakt, kann hier noch einmal all seine Erfahrung konzentrieren und sich künstlerisch ausleben. Große, bunte, dreckige und machtvolle Gestalten beinahe zärtlich und liebevoll, gehen ganz in eine verspielte Welt ein, die bis in den sehr leichten Comictrip wechseln können. Die Kunst für Kinder, Halbirre, kleine Affen, Hunde, Analphabeten und Drogenesser eben.
Manch einer in Neukölln und Kreuzberg, Wedding und Schöneberg bis hin in alle Bezirke hinein erinnert sich noch an einen jungen, kräftigen Mann in blauem Overall, Rainer eben. Hier wie dort sammelt er in fast manischer Art den Großstadtmüll, das, was keiner mehr haben will, das Vergessene, das Verlorene, das Zerstörte, das alles hat Rainer wieder zusammengebracht, die Kunst des dreckigen, bunten Alltäglichen.
Die vorerst letzte künstlerische Stufe, die ich miterlebe, ist seine Kunst der Keramik. Hier modelliert er sehr spielerisch und verfeinert seine sonst mehr brutaleren Kunstformen zu kleinen Objekten, die teilweise an Schachfiguren, Tiergestalten oder skurrilen Monsterschöpfungen erinnern.
Rainer Wieczorek, uralt und immer ganz MODERN MODERN, ein Schwamm, ein Uterus für die Kunst.
Schädelwaldt 1998